Territorialfusionen: Die großen Grenzverschiebungen und Rochaden drohen
Wenn der Ukrainekrieg - ob mit oder ohne Trumps Vermittlung - in nächster Zeit endet, werden die Spannungen im Bereich der innereuropäischen Tektonik weitergehen. Und zwar mit großer Dynamik. Insofern könnte, wenn Europa nicht sehr auf der Hut ist, Putins 2. Versuch, Europa zu destabilisieren doch noch Erfolg haben.
Sind nach einer eventuellen Befriedung die Regionen Donezk und Luhansk möglicherweise russisch, und die Krim nach wie vor russisch, würde eine Art Rumpfukraine entstehen, die dann vielleicht im Gegenzug der NATO und EU beitreten dürfte.
Die Risse, die durch diese Grenzverschiebung entstünden, wären folgenreich und könnten einen Erdrutsch, einen Dominoeffekt auslösen: Serbien könnte sich motiviert sehen, sich das verhasste Kosovo einzuverleiben. Ungarn könnte versucht sein, Besitzanspruch an das heutige rumänische Siebenbürgen anzumelden. Mischgebiete, Übergangszonen, autonome Regionen - Fehlanzeige, stattdessen stärker und mehr denn je: Grenzen, Grenzen, Grenzen. Demarkationslinien von Staaten, Nationalstaaten. „Stammesgebiete“ statt Kontaktzonen. Kontrolle statt Begegnung. Statt Transfer: Mauern, Brandmauern. Kurz: man retabliert genau die Szenarien, die ursächlich alle großen Kriege des 20. Jahrhunderts vorbereiteten. Diese erstarkende Nationalstaatseuphorie verbunden mit der in Russland erfolgreich herbeigeführten geopolitischen Zeitenwende könnte gefährliche Bewegungen in Gang setzen.
Nicht nur Ungarn und Serbien, auch Polen stellt - unwillentlich aber fahrlässig - Grenzen infrage. Das Festhalten an Reparationsforderungen gegenüber Deutschland macht urplötzlich die deutschen Ostgebiete wieder zu einem Thema der Politik. Plötzlich könnte der Ladenhüter der „Oder-Neiße-Grenze wieder auf der politischen Agenda stehen.
Spannungen tun sich bereits jetzt zwischen Polen und der Ukraine auf. Gar einem EU-Beitritt der Ukraine steht Polen mehr als skeptisch gegenüber. Das polnisch-ukrainische Verhältnis ist aufgrund der historischen Vorgeschichte und der wechselseitigen Ressentiments nicht weniger entzündlich als das russisch-ukrainische.
Dazu kommen noch weit größere Bewegungen im überseeischen Bereich, die gleichfalls dem Schema, das Putin vorgab, gehorchen: Kanada, Grönland und der Panamakanal stehen auf der Wunschliste dieser Vorsitzenden, die die Welt wie ein Unternehmen führen wollen und zugleich vorgeben, Sicherheitsinteressen zu verteidigen, nach dem Putinmotto: Territorialfusion als Präventivschlag.
Die Befriedung Europas - ein geplatzter Traum? Die Toten all der Kriege jedoch sind anscheinend längst noch nicht zur Ruhe gekommen und fordern ihr Recht auf Wiedergutmachung und Gebietsrevision. Die Literatur ist der getreuste Spiegel dieser noch unsichtbaren Verwerfungen.