Mit Worten der Vernunft weichen
Die Panik lenkt unsere Entscheidungen in den kommenden Bundestagswahlen 2025. Dabei sind die lebensbedrohlichen Situationen, von welchen wir umgeben sind — Krieg, Mord, Armut — nur mit klarem Verstand zu lösen. Schade nur, dass wir uns von gehobenen Worten zu unseren niedersten Instinkten verleiten lassen. Ein Meinungsbeitrag von Christian Bartasevic.
Nationalstaat gegen Nationalstaat, Bajonett gegen Bajonett. Der Krieg, ein ewiger menschlicher Zustand, ist wohl der kleinste gemeinsame Nenner aller Kulturen der Welt. Die anfängliche Hemmschwelle zum Töten ist oftmals leicht aufgehoben durch die Macht der Worte. Ideologien, welche aus unzähligen Schriften und Doktrinen erschaffen werden, bilden eine lange mentale Umschreibung warum es Sinn machen würde, jemanden für ein größeres Wohl zu ermorden.
Es gibt die offensichtlichen Bösen im Krieg. Da wären die Nationalsozialisten des 20. Jahrhunderts, oder die Z-Russen des 21. Jahrhunderts. Lange setzen wir uns auseinander mit ihren propagandistischen Weltverzerrungen. Und wenn wir 1984 lesen, dann sind wir Leser natürlich diejenigen, die von Anfang gegen ein totalitäres System gewesen wären. Nicht zu unterschätzen ist auch die Macht der Worte, um den “Guten” beizubringen, dass man töten sollte. Die Alliierten dürfen sich bis heute als Sieger über den Nationalsozialismus rühmen und die Ukrainer funktionieren gerade als Schutzwall des demokratischen, freiheitlichen Europa. Niemals würde ich den Helden ihr Heldentum absprechen wollen, hier geht es nur um das Konzept: Man kann sich eine Gedankenwelt schaffen, in der es richtig ist und war, zu töten. Zwischen Nationalstaaten wirkt es oft (genug) offensichtlich, wer im Recht ist, sich zu verteidigen und die Gegenseite zu töten. Persönlich würde ich mit dem Gedanken mitgehen, dass ich mein freies Land gegen die Angriffe totalitärer, faschistischer Regime verteidigen würde. Für mich sind diejenigen, die Widerstand gegen das absolute Böse leisten, Helden.
Doch je länger man nachdenkt, desto verschwommener wird die Grenze. Wie steht es um Revolutionen? Die französische Revolution von 1789, die russische Revolution von 1917. Die Anfangseuphorie, dass die Armen endlich die Reichen ihrer Privilegien berauben dürfen, wirkt äußerst verlockend. Die historischen Robin Hoods, möchte man annehmen, seien absolute Paradebeispiele für eine vermeintliche moralische Richtigkeit des Klassenkampfes. Doch muss man auch betrachten, dass mit dem Machtumschwung die neuen Herrschenden einer gleichen Brutalität mächtig waren. Wenn die französischen Revolutionäre mit Robespierre und Napoleon zahlreiche ihrer idealistischen Anhänger in Europa verlor, so sollte es nicht überraschen, was für eine Enttäuschung die Oktoberrevolution für das Sechstel der Welt wurde, was sich plötzlich unter Lenin und Stalin sowjetisch nennen musste. Viele Male wurde deutlich: Die ewig diskutierten Prinzipien der Neuzeit dienten nur als Anlass, vielleicht auch als Entschuldigung, endlich der eigenen Mordlust nachzugehen. Und das am Besten gegen eine Masse von Menschen, welche man auf eine willkürliche Eigenschaft reduzieren und jagen konnte.
Pazifismus wirkt für uns Deutsche wie die logische Konsequenz. So oft kann man falsch damit liegen, ob man auf der richtigen Seite der Geschichte ist. Warum es versuchen? Der zweite Weltkrieg war Beweis genug dafür, dass Deutschland es nicht kann. Doch viele politische Begriffe im deutschen Sprachgebrauch sind nur moralische Fassade und das ist Gewohnheitssache, anders ist es nicht beim Pazifismus. Bevor die Deutschen lernten, warum der Nationalsozialismus falsch war, lernten sie zuerst, dass sie ihn falsch finden mussten. Kurzfristig war das ein geopolitischer Geniestreich, langfristig ein Rezept zum Desaster. Natürlich genießt die Welt nun deutsche Autos; auch eine kapitalistische, demokratische Krone in der Festung Europas, welche eine ideologische Brandmauer gegen den russischen Osten bildet. Doch die Essenz unseres Denkens hat sich nicht geändert und das Sterben lassen, Hauptsache man hat die Waffe nicht in der Hand, wird zur neuen Maxime. Ukrainer sterben lassen, Flüchtlinge sterben lassen, am Besten die Menschen an der Tür klopfen lassen und die Blutlarche aufwischen, wenn der Axtmörder weg ist. Und gute Erfahrungen hat man nicht gemacht mit der Waffe in der Hand, deshalb sollte man sie erst recht niemandem geben. Würde man mit dem Ansatz rangehen, zu verstehen, warum das Böse böse ist, könnte man tatsächlich Stellung im Rahmen demokratischer Prinzipien nehmen, welche in unserem Land zugegebenermaßen nicht mal ein Jahrhundert alt sind. Stattdessen lernte man zuerst, dass Töten falsch ist, aber nicht warum. Und dass ein Wegweiser zum vernünftigen, moralischen Denken fehlt, ist ein ziemlicher Fehlschlag der Konservativen.
Merz reibt sich schon die Hände wie eine Fliege wenn er die Wahlprognosen für die kommende Bundestagswahl sieht. Trotz der Tendenz zum Hass der Deutschen gegen die Bundesregierung und gegen Flüchtlinge sollte man sich nicht in Sicherheit wähnen, wenn die Konservativen an die Macht kommen und gerne mal die Brandmauer zum Faschismus aufweichen. Ich bin immer wieder fasziniert, wie man geo-, kultur- und wirtschaftspolitische Fragen alle über Bord werfen kann für das Thema “Remigration” und sich als Wähler den Konservativen und Reaktionären für vier Jahre verpflichten möchte. Zugegeben, nicht mal ein paar Flugstunden entfernt von uns befindet sich ein Inferno in der Ukraine und die steigenden Preise wecken in uns einen Überlebensinstinkt, bloß noch die Familie ernähren zu können. Doch die absolute Ignoranz dessen, wie sehr wir uns mit Worten zu unserer Angst leiten lassen, nur um dann politische Akteure zu wählen, die mit einer wissenschaftlichen Sicherheit unsere Festung Europa in die Luft sprengen werden, wird mich immer wieder faszinieren. Das selbe Volk, das sich dem Pazifismus verschreibt, wird euphorisch gegenüber Trump, Musk und Putin und will allzu gerne Migranten sterben lassen. Am Besten finde ich immer noch, wie Musk wie Big Brother in den AfD Parteitagen auftauchte. Natürlich ist es verlockend, dumme Entscheidungen zu treffen, das tue ich doch auch gerne. Wie gerne würde ich es mir einfach machen, auch der Mehrheit zu folgen und den Totalitarismus zu lieben. Doch das ist nur ein Fehlschluss wenn man sich zwingt das Böse böse zu finden und nicht wenn man wirklich reflektiert warum das Böse böse ist.
Ideologie ist in erster Linie etwas praktisches. Man wird abstrakt, man trägt es von der Tatsache ab und fühlt sich auf einer höheren Ebene, wenn man seine Anfangsmeinung nochmals bestätigt. Man löst ein reales Problem mit einer falschen Lösung, wichtig ist dass sie sich in Theorien verstrickt. Und wenn man sieht wie ein politisches Modell in ein anderes übergeht und ich beim Lesen und Zuhören halluziniere, dann kommt meine unterbewusste Voreingenommenheit, in welcher ich mich durch das Lesen und Hören verführerischer Texte bestätigt fühle. Hier haben die Konservativen einen riesigen Fehler begangen. Was man hätte tun sollen wäre Prinzipien zu schaffen, welche eine tatsächliche moralische Richtigkeit erzeugen, wenn man sie trotz der eigenen Voreingenommenheit annimmt. Dass die Konservativen so unendlich beliebt werden obwohl sie nichts Gutes zu bieten haben zeigt nur, dass sie ein verlängerter Arm der Reaktionären werden. Pazifismus ist ein Prinzip und kein moralischer Deckmantel. Man muss Migranten in Not helfen und Anschläge verhindern, im Interesse aller Beteiligten. Unserer politischen Landschaft zufolge lassen sich beide Aussagen nicht in einem Satz vereinen. Stattdessen wirft man alles über den Haufen und nennt es pazifistisch, denn wenn wir uns die Migranten fernhalten, dann sehen wir nicht, wenn sie sterben.
Und so schieben wir ein Problem ab, geben bei der “Remigration” gleich unser letztes Fünkchen Anstand mit und lassen uns vom Faschismus kaputt wirtschaften. Eine einfache Lösung, doch darum sollte es nicht gehen. Es geht darum, über das eigene Denken nachzudenken. Nicht alle unsere Entscheidungen an unsere bloße Angst abzugeben, sondern auch zuzugeben, dass wir uns alle in vielen Punkten geirrt haben und dass es an der Zeit wird, ein Land von Prinzipien aufzubauen, welches Menschenleben rettet. Stattdessen sind es nun diejenigen Menschen, die mir sagen ich soll stolz auf mein Land sein, die die meiste Scham in mir gegenüber Deutschland auslösen.